AG Rheine v. 4.6.2024 - 10 C 165/23

Teuflischer Tweet kann teuer werden

Das Wort „Teufelin“ ist nach allgemeiner Lebensauffassung negativ konnotiert. Der Großteil der Bevölkerung assoziiert mit dem Begriff den Inbegriff des Bösen. Es handelt sich demnach um eine Bezeichnung, durch die die Klägerin gerade im Hinblick auf ihre Tätigkeit und Funktion als Person des öffentlichen Lebens eine deutliche Abwertung erfährt.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Person des öffentlichen Lebens und führt einen Twitter-Account (seit Juli 2023 Plattform X) mit 183.354 Followern (Stand 03.07.2023). Bereits im Oktober 2022 konnte festgestellt werden, dass der Beklagte auf Twitter unter einem Beitrag der Klägerin folgenden Text abgesetzt hatte:

„@C Für wen, für dich? Hast du Stückzahlen an Nachbestellung zu bringen? DU TEUFELIN in Menschenfleischverpackung.“

Die Klägerin stellte daraufhin Strafantrag wegen Beleidigung. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bestätigten, dass es sich bei dem Verfasser der hier streitgegenständlichen Nachricht um den Beklagten handelte. Am 14.8.2023 forderte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Beklagten zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, zur Zahlung eines Geldentschädigungsanspruchs sowie zur Freistellung von den angefallenen Gebühren und Auslagen auf.

Das AG gab der Klage statt.

Die Gründe:
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Geldentschädigung aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG wegen unerlaubter Handlung besteht vollumfänglich. Die Sozialsphäre genießt im Gegensatz zur Intims- oder Privatsphäre zwar nur einen eingeschränkten Schutz vor Beeinträchtigungen. Allerdings dient sie dazu, die persönliche Eigenart des Menschen in seinen Beziehungen zur Umwelt sowie seinem öffentlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Wirken zu schützen und zu bewahren. Sie betrifft den Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht. Geschützt sind vor allem die persönliche Ehre, Berufsehre und soziale Anerkennung.

Der Beklagte hatte u.a. das Wort „Teufelin“ kommentiert. Dieser Begriff ist nach allgemeiner Lebensauffassung negativ konnotiert. Der Großteil der Bevölkerung assoziiert mit dem Begriff den Inbegriff des Bösen. Es handelt sich demnach um eine Bezeichnung, durch die die Klägerin gerade im Hinblick auf ihre Tätigkeit und Funktion eine deutliche Abwertung erfährt. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin wurde kausal durch die Äußerung des Beklagten auf der Plattform Twitter verursacht. Zwar muss sich der Verletzte sein eigenes Verhalten, das dem Eingriff vorausging, entgegenhalten lassen. Denn wer in Fragen der politischen Haltung gezielt Einfluss nehmen will, muss das Risiko öffentlicher, auch scharfer, abwertender Kritik seiner Ziele auf sich nehmen und Polemik gegen seine Person hinnehmen.

Vorliegend überwog ausnahmsweise jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin die Meinungsfreiheit des Beklagten. Dies, obwohl die Meinungsfreiheit des Einzelnen abstrakt betrachtet das im Vergleich zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht eigentlich höherwertige verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht ist. Denn durch den streitgegenständlichen Kommentar des Beklagten und dort durch das verwendete Wort „Teufelin“ kam es konkret zur Stigmatisierung der Klägerin als böse Person aus Sicht von Personen, die den Beklagtenkommentar lesen. Der Kommentar war in Gänze in der Lage, die Klägerin als Person der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht zu rücken. Außerdem war er (bei der hohen Zahl der Follower) geeignet, das Ansehen der Klägerin in der eigenen Bevölkerung und darüber hinaus zu beeinträchtigen.

Mit Blick auf den Genugtuungs- und Präventionsgedanken von Geldentschädigungen, war ein Betrag von 500 € angemessen. Ein derartiger im Verhältnis geringer, eher am unteren Rande angesetzter Geldentschädigungsbetrag war vor allem deshalb gerechtfertigt, weil es im konkreten Fall - und auch sonst - gerade nicht darum ging, den Beklagten durch eine deutlich spürbare Entschädigungssumme für sein Fehlverhalten zu „bestrafen“. Die hier erwirkte Entschädigungszahlung sollte sich für die eingetretene Persönlichkeitsrechtsverletzung gerade nicht hinsichtlich künftiger durch den Beklagten geäußerter zulässiger Meinungen einschüchternd auswirken. Schließlich ließ sich anführen, dass es der Beklagte bei dem einen Kommentar bewenden ließ und er gerade keine Hetzkampagne (sog. „Shitstorm“) gegen die Klägerin ausgelöst hatte.

Der Klägerin stand weiterhin der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch analog § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zum Zweck der Abwehr weiterer künftiger Beeinträchtigungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Das galt auch für die vorgerichtlichen, nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 257 BGB. Ein solcher Befreiungsanspruch kann sich u.a. aus der Schadensersatzpflicht ergeben. Der Gläubiger des Anspruchs kann nur Befreiung, nicht aber Zahlung des zur Tilgung der Verbindlichkeit erforderlichen Gelbetrags verlangen. Da der Klägerin hier der Anspruch auf Geldentschädigung aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art.  2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG für den erlittenen immateriellen Schaden zusteht, steht ihr auch der von ihr klageweise geltend gemachte Freistellungsanspruch zu.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.07.2024 12:50
Quelle: Justiz NRW

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